Roman Grabner, Universalmuseum Joanneum

Mutabor
Zu Arbeiten von Krista Titz-Tornquist

Mutabor, der Zauberspruch aus Wilhelm Hauffs Märchen „Kalif Storch“, das „Ich-werde-verwandelt-werden“, kann als Synonym für die plastischen Arbeiten von Krista Titz-Tornquist stehen. Von Verwandlungen zu erzählen, heißt unter anderem, über die Erfahrung der Zeit zu sprechen – über die Zeitlichkeit aller Dinge, die Endlichkeit jedes lebendigen Wesens, aber auch über Transformationen, die sich aus den soziopolitischen Gegebenheiten der Zeit ergeben.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Marcel Prousts Erzähler in „Á la recherche du temps perdu“ stellt sich den Verlauf des menschlichen Lebens als einen metamorphotischen Prozess vor, den er mit dem Blick eines Insektenforschers studiert. Sein Interesse gilt dem Menschen als einem mutablen Wesen, dessen Bindung an die Zeit sich im Gesicht und auf dem Körper niederschreibt. Krista Titz-Tornquist scheint diese Auffassung zu teilen, denn das Menschenbild in ihrem künstlerischen Schaffen – und sie ist eine Künstlerin, die am Bild des Menschen festhält – ist geprägt von metamorphotischen Wandlungen. Basierend auf ihrer beruflichen Erfahrung als Psychotherapeutin spielen menschliches Erleben und Verhalten, Wahrnehmen und Erinnern eine bedeutsame Rolle. Ihre „Recherche“ ist daher nicht so sehr eine der verlorenen Zeit als vielmehr eine nach dem Menschen in seiner Zeit, auch wenn diese verloren sein mag. Eine Suche jedoch, die nur ein Fortschreiten in der Zeit verfolgt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie muss zugleich auch ein Zurückschreiten in der Zeit sein, dahin, wo die Auswirkungen der Zeit wenn schon nicht ihren Anfang so doch wesentliche Erscheinungsformen zeitigen. Titz-Tornquist geht weit zurück in ihrer Auseinandersetzung mit dem Menschen und dem Bild, das er von sich macht. In ihrem Werk finden sich zahlreiche Analogien auf prähistorische Artefakte, neolithische Keramiken oder Kleinplastiken aus der Bronzezeit. Es scheint, als suchte sie archetypische Formen, die grundsätzliche, existenzielle Bedürfnisse des menschlichen Seins repräsentieren. Zu ihren frühesten Arbeiten gehören archaische, sackähnliche Wesen aus Ton mit großen Augen, die an sumerische Plastiken des dritten vorchristlichen Jahrtausends erinnern. Es soll hier wie auch im Weiteren weder auf deren historische Funktion noch auf deren Kontext eingegangen, sondern im Wesentlichen deren ästhetische Ähnlichkeit betont werden. Bedeutsam ist, dass Titz-Tornquist Habitate für diese Figuren anfertigt. Anfangs handelt es sich um rechteckige Behausungen aus Ton, später um Terrarien, in denen sie ihre Plastiken detailreich inszeniert. Diese „Storyboxes“ genannten Arbeiten weisen den Charakter von Modellen zwischen archäologischer Rekonstruktion und sozialanthropolgischer Versuchsanordnung auf.

Per Anhalter durch die Geschichte
In Werken mit so bedeutungsvollen Titel wie „Transformation“, „Herzsegler“, „Herzkäfer“ oder „Kairose“ kommt ihre Auseinandersetzung mit archetypischen Formen der Menscheitsgeschichte besonders zum Tragen. Traditionslinien können sowohl zu steinzeitlichen Faustkeilen als auch zu neolithischen Muttergottheiten im so genannten Steatopygous-Stil gezogen werden, die sich in ähnlicher Form im prädynastischen Ägypten (Assuan-Statuetten), in Griechenland (kykladisch und minoisch) oder in Rumänien (Venus von Cucuteni) finden. Gemeinsam ist ihnen ein konisch geformter Körper, der die üppigen Hüften der Fruchtbarkeitsgöttinnen symbolisiert. Titz-Tornquist erweitert die mannigfaltigen Bedeutungsebenen noch durch ihre formale Assoziation mit dem menschlichen Herzen und bringt somit ein zutiefst subjektives und poetisches Moment in die künstlerische „Recherche“. Durch die evidenten Analogien scheinen ihre Objekte mit einer rätselhafte Gebrauchsfunktion erfüllt zu sein, die sich jedoch einer Bestimmung entzieht und in Aporie auflöst.
Es ist bezeichnend, dass Titz-Tornquist einige ihrer Arbeiten mit dem Namen Kairos oder Kairose bezeichnet, der antiken Personifikation des günstigen Zeitpunkts oder rechten Augenblicks für eine Entscheidung. Im Strom der Zeit (chronos), der sich in ihrem Werk durch bereits erwähnte Analogien von neolithischen Artefakten bis in die Gegenwart erstreckt, erscheinen diese Plastiken wie Anhalter, die darauf warten, ergriffen zu werden, aus den Sog des rieselnden Sandes herausgeholt zu werden. Sie mögen dadurch vielleicht auch Aufschluss über den spezifischen Zugang und Arbeitsprozess der Künstlerin geben. Aus der gleichförmig gestalteten Figur, die sich als solche nur durch angedeutete Gesichtszüge auszeichnet, ragt eine Hand mit ausgestrecktem Daumen. Der archaische Charakter wird zusätzlich noch durch die keilförmigen Abdrücke in der Oberfläche verstärkt, die durch unterschiedliche Gegenstände oder Naturalien erzielt werden.

Zurück in die Zukunft
Die künstlerischen Artefakte, die Titz-Tornquist bewusst oder unbewusst als Inspiration für ihre plastischen Arbeiten dienen, legen Zeugnis ab vom modernen Menschen und dem fortwährenden Prozess der Erschließung, Aneignung und Deutung von Welt. Im Zuge der Hominisation bricht die magische Einheit unserer prähistorischen Vorfahren auf und die Schöpfung wird sukzessive diversifiziert und in immer kleinere Einheiten aufgeteilt, die ordenbar, zählbar und benennbar sind. Der Prozess der Diskretisierung ist kennzeichnend für die wissenschaftliche Vermessung der Welt und für unser Streben nach Erkenntnis.
Die evolutionäre Konzeption der Hominisation geht aus dem wissenschaftlichen Diskurs des 18. Jahrhunderts hervor. Damals gab es zwei entgegengesetzte Positionen wie sich die individuelle organische Form entwickelt hat, die beide ihren Ursprung in der Antike haben: Die Präformationslehre des Anaxagoras, nach der der jeweils gesamte Organismus vorgebildet sei und sich nur mehr entwickeln müsste, und die Theorie der Epigenese, die auf Aristoteles zurückgeht, nach der sich jeder Organismus selbst und individuell ausbildet. „Does every individual start from material that is unformed, and the form emerges only gradually, over time? Or does the individual start in some already preformed, or predelineated, or predetermined way?”1
Damit werden zwei Axiome ins Spiel gebracht, die auch den Diskurs des „Plastischen“ in der bildenden Kunst seit dem 18. Jahrundert geprägt haben und die auch bei der Analyse von Titz-Tornquists Werk relevant sind: Einerseits wurde das Plastische als Werk eines gottgleich gedachten Schöpfers gesehen, der seine Spur in der formbaren Masse hinterlässt. Andererseits betrachtete man vor allem mit dem Fortschreiten der industriellen Revolution und dem Aufkommen neuer Materialien das Plastische verstärkt als Eigensinn der Objekte und Substanzen, als „Bildungstrieb der Stoffe“2 wie ein populäres Mappenwerk aus dem 19. Jahrhundert lautete. Wie entsteht ein Kunstwerk? Ist es im Material immer schon angelegt und der Künstler resp. die Künstlerin muss es nur freisetzen wie dies Michelangelo behauptet hat, oder handelt es sich um einen gottgleichen Schöpfungsakt aus dem Nichts. Titz-Tornquist scheint diese beiden Oppositionen in ihrem Schaffen in einer gemäßigten Synthese zu vereinigen. In ihren beiden Serien „Metamorphosen“ und „Singende Süßmandeln“ kombiniert sie den eigenen Schöpfungstrieb mit Naturabgüssen und schafft zutiefst subjektive Formen, die man mit Harald Szeemann Kategorie der „individuellen Mythologien“ beschreiben könnte

Die Welt im Wandel
Die Serie der „Singenden Süßmandeln“ bezeichnet archaisch anmutende Frauenfiguren, die durch das Eindrücken von Süßmandeln in die Oberfläche ihre titelgebende Textur erhalten haben. Die zylindrische Form geht am Kopf in eine Art antenennartigen Ausläufer über, der jedes Mal einen Abguss einer bestimmten Pflanze repräsentiert. Im Laufe der Serie werden diese kleinen „Göttinnen“ mit Zweigen und Samenkapseln von so illustren Gewächsen wie Karde, Sternmagnolie, Vogelkirsche, Mohn, Granatapfel, Hanfpalme oder einer Frühlingsmorchel geschmückt. Im Unterschied zur Werkserie der „Singenden Süßmandeln“, bei der die intendierte Körperform durch den Naturabguss nur erweitert wird, scheinen die „Metamorphosen“ in einem synthetischen Prozess entstanden zu sein. Ausgangspunkt sind gefundene bzw. gesammelte Naturalien, die als Impuls und Inspiration für eine Transformation der unbelebten Natur in naturgeisterähnliche Wesen dienen. Diese „Metamorphosen“ weisen eine entfernte Verwandtschaft zu den so genannten Luristan Bronzen auf, doch fehlt den historischen Vorbildern aus dem heutigen Iran die humorvolle Leichtigkeit von Titz-Tornquists Arbeiten.
Der von der Künstlerin eingesetzte Naturabguss ist kein Verfahren bei dem ein bestimmtes Motiv im Werk dargestellt wird, sondern es geht vielmehr um eine Wandlung, in deren Verlauf eine Pflanze in das Bildwerk überführt wird. Ihre „Metamorphosen“ zeigen daher auf mehrfache Art und Weise die Verwandlung als Grundgesetz der Natur: sie repräsentieren unter anderem verschieden Stadien im Wachstum einer Pflanze, transformieren diese in eine andere Materie und implizieren die mythische Vorstellung einer anthropomorphen Natur. Die „Metamorphosen“ verstricken den Betrachter in ein Nachdenken nicht nur über die Natur der Pflanzen, sondern auch über die verschiedenen Arten der Formbildung, die in der Natur und Kunst Ähnlichkeiten aufweist. Es geht um Abgüsse und Abformungen und damit um Konzepte natürlicher Formentstehungen und Modellierung.
Es gibt eine lange Tradition kleinplastischer Naturabgüsse, die sich in der älteren Kunstgeschichte im Wesentlichen auf Pflanzen und Kleintiere vom Waldboden und dem Sumpfland beschränken.3 Bereits Plinius d. Ä. erwähnt Techniken des Abgießens direkt nach der Natur als ein in der Antike bekanntes Verfahren. Die älteste detaillierte Beschreibung dieses Verfahrens stammt aus Cennino Cenninis „Libro dell’arte“ von ca. 1437, zur gleichen Zeit, als Ghiberti für die Baptisteriumstüren in Florenz Abgüsse von Naturalien für die Dekoration seiner Bronzereliefs verwendet. Naturabgüsse kommen in der Renaissance regelrecht in Mode und sind symptomatisch für die begeisterte Hinwendung dieser Epoche zu den Naturwissenschaften. Dieser kurze Exkurs über die Entstehung und Entwicklung dieser Technik soll im Wesentlichen zeigen, dass sich an Abgüssen der Natur auch eine spezifische Form der Verbindung von Naturwissen und künstlerischer Praxis handelt. Krista Titz-Tornquist hat ein profundes Wissen über die Herkunft, Wirkung und Bedeutung der Pflanzen ihrer Umgebung, der eine empirische Erfahrung über die Möglichkeiten ihrer Konservierung zur Seite steht. Indem sie das Metall dazu bringt, wie von selbst die Gestalt von Pflanzen anzunehmen, initiiert sie eine Selbstbewegung des Stoffes und setzt einen Entstehungsprozess in Gang, der über Jahrtausende hinweg allein der Natur zugesprochen wurde.4 In diesem Wechselspiel zwischen der Kunst und dem formgebenden Vermögen der Natur tritt das kunsthistorisch oft thematisierte Verhältnis zwischen artificialia und naturalia in Erscheinung.

Die wiedergefundene Zeit
Es war immer schon ein Charakteristikum des Bronzegusses, dass man durch mechanische Eingriffe und Beimengung von Chemikalien, ungewöhnliche Texturen und Oberflächengestaltungen erzielen konnte. In der jüngsten Werkserie der „Weltenempfänger“ arbeitet Titz-Tornquist nun das erste Mal dezidiert mit Farbe. In der Skulptur war Farbe lange Zeit verpönt und gelangte erst durch das Aufkommen von Kunststoffen in den 1960er-Jahren in das Medium, wenngleich auch heute noch das unausgesprochene Diktum zu gelten scheint, dass man Bronze oder Stein nicht bemalt, sondern allein die Farbe des Materials sprechen soll. Der metallische Glanz in den neuen Arbeiten verändert jedoch den Charakter der Skulpturen und verleiht ihnen eine ungewohnte Leichtigkeit und ein erweitertes Assoziationsspektrum.
Der Titel „Weltenempfänger“ und die rätselhafte Gestaltung mit Displays auf der Brust und einer Antenne auf dem Kopf, verweist auf unser hochtechnisiertes Computerzeitalter und die uns alle umgebende Infosphäre, die wir schnell mit dem Produktionskomplex Silicon Valley in Verbindung bringen. Diese plastischen Arbeiten stehen interessanterweise auch in einer Traditionslinie mit einer spezifisch kalifornischen Ausprägung einer minimalistischen Kunst, die in den 1960er-Jahren mit Kunstharzen, reflektierenden Oberflächen uns starken optischen Effekten experimentierte. Künstler wie Craig Kauffman, De Wain Valentine oder Helen Pashgian, die in Europa kaum jemand kennt, schufen farbenfrohe runde und biomorphe Plastiken aus Polyesterharz.5 Unter Anwendung fortschrittlicher Technologien, die typisch für die Region waren, vor allem Plastik- und Industriebschichtungsprozesse, erzeugten sie malerische, optische Oberflächen auf Objekten, die sich stärker auf die Mechanismen menschlicher Wahrnehmung konzentrierten als auf die bloße Form und diese durch ihre makellosen, glänzenden Oberflächen in gewisser Weise transzendierten. Titz-Tornquist knüpft hier an und stellt mit den „Displays“ und „Antennen“ ihrer Figuren die Verbindung zum ubiquitären Netzwerk unseres hochtechnisierten Informationszeitalters. Doch was intendieren diese „Weltenempfänger“ und vielleicht auch die „Singenden Süßmandeln“ mit ihren Vorrichtungen zu empfangen?
Hier sei nochmals auf den Prozess der Hominisation verwiesen allerdings in der Konzeption des katholischen Philosophen und Paläontologen Teilhard de Chardin. Sein Zusammentreffen mit dem sowjetischen Mineralogen und Geochemiker Wladimir Wernadsky im Paris der 1920er-Jahre hat ihn darin bestärkt, die Hominisation als eine schrittweise Entwicklung und Steigerung des Bewusstseins in der Welt zu definieren. In seinem dreistufigen geistigen Entwicklungsmodell betrifft die erste Phase das Individuum, die zweite die gesamte Spezis und als dritte beschreibt er das Hervortreten der so genannten Noosphäre. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Worten noos (Geist, Verstand, Intellekt) und sphaira (Hülle, Himmelskugel) zusammen und beschreibt ein Bewusstsein, das die Grenzen der Erde überwunden hat und den Planeten wie eine Hülle umgibt. Seit dem Aufkommen des Begriffs Anthropozän hat auch das Konzept der Noosphäre neues Interesse auf sich gezogen, da es als alternatives Erdzeitalter und Vorläufer gewisser Internet- und Medientheorien gesehen wurde. Wir sind heute umgeben von einem großen Daten-Umfeld, das jedwede Distanzen pulverisiert, doch die Noosphäre darf nicht mit der so genannten Infosphäre verwechselt werden.6 Im Sinne seiner Vordenker handelt es sich dabei um eine geistige Sphäre, um ein Bewusstsein des Planeten, um eine kollektive Intelligenz, die sich wie eine Hülle um die Erde legt und eine konstruktive Reflexion von Leben und Welt ermöglicht. Die „Weltenempfänger“ von Titz-Tornquist docken an dieser Noosphäre an, nehmen Teil an der Emergenz dieser geistigen Hülle und repräsentieren eine weitere Metamorphose, eine weitere Transformation in der Zeit durch die Zeit. Krista Titz-Tornquist setzt das Spiel der Andeutungen und Analogien bewusst ein und hält ihre Arbeiten offen für die Kontingenz der Lesarten. Es sind vieldeutige Plastiken, die aus polyvalenten Formen und Zeichen zusammengesetzt sind und niemals im Sinne einer einzigen, eindeutigen Lesart entziffert werden können, sondern ihr semantisches Potenzial in der Vielfältigkeit der Deutungen entfalten. Wie beim Maler Elstir in Prousts „Recherche“ geht es ihr um das Aufbrechen konventioneller Wahrnehmungsgewohnheiten, genaue Beobachtungen und Beschreibungen, das Fixieren flüchtigster Eindrücke und den Mut zur radikalen Subjektivität.

Graz 2017

1 Jane Maienschein, Epigenesis and Preformatism. In: Edward N. Zalta (Ed.), The Stanford Encyclopaedia of Philosophy. https://plato.stanford.edu/entries/epigenesis/, März 2017.
2 Friedlieb Ferdinand Runge, Der Bildungstrieb der Stoffe veranschaulicht in ständig gewachsenen Bildern. Oranienburg 1855.
3 Auf die Gründe hierfür kann im Rahmen des Textes nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu Robert Felfe, Naturform und bildnerische Prozesse. Elemente einer Wissensgeschichte in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin / Boston 2015.
4 Vgl. Felfe 2015, S. 69.
5 Polyesterharz kam 1966 auf den amerikanischen Markt.
6 Vgl. Luciano Floridi, The Fourth Revolution. How the Infosphere is Reshaping Human Reality. Oxford 2014.

 

Krista Titz-Tornquist

IM STANDE DER RUHE

Skulptur – statisch, angehalten im Moment, „aus dem Zeitstrom gefischt – ins Wesen geholt“ –
davor und danach Bewegung – potentiell.

Wie der Moment im Leben des Menschen – angehalten im Innehalten, im An-sich-halten, im Halten der Achse.
Moment der scheinbaren Ruhe –
hilfreich, um dem Kairos oder der Kairose zu begegnen, sie zu ergreifen, den Moment zu erfassen.

Figuren, oftmals als Träger von Zeitlosem ins Jetzt gebracht – Haltung, Ausdruck, Struktur, Attribute,
wie auch Material und Farbe, mitwirkend an der Aufladung, an der Erzählung der Geschichte,
an der Verdeutlichung der Idee . . .
wie etwa die Achse umschreibend von Stein, Pflanze, Tier zu Mensch bis hinauf ins Leichte.

Möglich, dass sich ein Raum öffnet, in dem gefühlte Präsenz Präsenz erzeugt.

„When energy becomes form –
when form becomes energy“.

 

 

Walter Titz

Stehen. Sitzen. Hier und jetzt.
Am Anfang ist der Ton. Formbare Materie. Am Anfang ist die Idee.
Formbarer Geist. Manchmal ist der Ton Wachs. Und die Idee wächst erst im Tun. Jedenfalls: Am Anfang sind das Stoffliche und das Nichtstoffliche – vermeintliche Gegensätze, die in den Figuren von Krista Titz-Tornquist eine Symbiose eingehen. In Eins verschmelzen.
Zunächst im kreativen Prozess, in der Erschaffung einer Plastik.
Danach im Wortsinn. Denn hat die Künstlerin ihre Wesen einmal geformt, aus Erde und Gedanken, werden sie in anderen Prozessen, dem des Gießens, dem des Brennens, einer Verwandlung unterzogen.
Bei Ersterem wird von der Form eine Form abgenommen, die in einer aufwendigen Prozedur mit geschmolzenem Metall (Bronze, Aluminium), manchmal auch mit flüssigem Kunststoff ausgefüllt wird. Nach dem Erkalten werden die Figuren gewissermaßen nochmals erschaffen. Man könnte auch sagen: geboren. Tatsächlich hat der ganze Vorgang etwas von einer Geburt, samt Abnabelung des Kunstgeschöpfs von den Gusskanälen und Reinigung von Wachs-Gips-Resten.
Die anschließende Oberflächenbehandlung kann höchst unterschiedlicher Natur sein. Und bietet auch für den Oberflächenbehandler bzw. die Oberflächenbehandlerin immer wieder Überraschungen. Wie Chemikalien bei der Patinierung wirken, ist trotz gewisser Erfahrungswerte nie ganz genau vorhersagbar. Ebenso wenig, welche Veränderungen das Wetter bewirkt, so die Figuren im Freien stehen oder sitzen. Natur und Kunst befinden sich im Dialog. Und das nicht nur in Bezug auf das Stehen oder Sitzen unter freiem Himmel.
Natur spielt eine wichtige Rolle in Titz-Tornquists Kosmos. In ihm leben „Luchsfrauen“ und „Lucky Lizards“, meditiert die „Muse-Muße- Mutze“ (oder genießt sie einfach nur?), treiben „Singende Süßmandeln“ und der „Alma-Albero“ die prächtigsten Blüten. Die Blüten sind, aber auch Knospen, Zweige, Früchte, Samenkapseln und mehr. Klingende Auswüchse, wenn man sie sanft anschlägt.
Es ist ein (manchmal) mystischer Garten, den sie bevölkern. Aber kein geschlossenes System. „Weltenempfänger“ aus poliertem Alu, manche kräftig lackiert, sorgen unter anderem für die Anbindung an andere Realitäten. „Mutabor“ steht für ständigen Wandel, seine kreisrunde Antenne ist bereit für den Empfang von Signalen aller Art. Ist offen für das Hier und Jetzt, das wahrzunehmen „Kairose“ und „Carpe Caprem“ nicht minder dringend empfehlen. Weil: „No Risk No Fun“. Das wissen vermutlich auch „Fährtensucher“ und „Herzsegler now“. „Carpe Caprem“ zählt zu den zweidimensionalen Werken im Werk der Künstlerin. Diese (Scans, Zeichnungen, Drucke) stehen aber stets in engem Kontakt mit ihren plastischen Verwandten, spiegeln diese in der zweidimensionalen Welt.
Über Krista Titz-Tornquists Garten steht die „Mondin“, im Garten nicht nur ein „Kleiner Wächter“, sitzt die „Hüterin der guten Dinge“. Und die „Chesire Cat“ zeigt mehr als ihr geheimnisvolles Lächeln. Stehen.
Sitzen. Hier und jetzt. Das schließt Reflexion mit ein, den analytischen Blick. Ist „Revisio“ möglicherweise der Kontrolleur, der aus dem, was war, Strategien für die Zukunft entwirft? Jedenfalls keine Vorausschau ohne „Hoffnov“, ebenfalls ein starker Kunst-Körper in diesem Universum der inneren und äußeren Energien. Und kein gestern, heute, morgen ohne „Liebov“. Das versteht sich (fast) von selbst.

 

Krista Titz-Tornquist

wortraumsammelsurium

„aus dem zeitstrom gefischt, ins wesen geholt“ (clemencic)
„a state of becoming“ (kapoor)
„..gesicht belebt von ruhe..“ (handke)
„..das potential der dinge..“ (cragg)
„..in dieser angestauten potentiellen energie..“ (soseri)
„time pregnant with no time “ (fabre)
„..mittel zur objektiven übermittlung eines gemütszustandes..“ (gurdjieff)
„pensieri leggeri si uniscono alle luci e ai colori al silencio lontano delle nuvole“ (battiato)
„..im stande der ruhe..“ (handke)
„..eine skulptur existiert im raum wie ein menschliches wesen..“(clemencic)
„..every boy is a snake, every girl is a lynx..“ (björk)
„..form ist ein zustand der ruhe zwischen aufeinander einwirkenden kräften..“ (schönberg)
„..man muß es verstehen,eine bronze ebenso liebevoll zu streicheln wie eine puppe..“ ( marini)
„..in der kunst ist ehrgeiz fruchtlos, es fruchtet allein die sehnsucht, die sehnsucht, es dem als groß erlebten auf die eigene weise gleichzutun…….aber wie…..“(handke)
„..ich bin jener, der an meiner seite geht, ohne dass ich ihn erblicke..“ (jimenez)
„formen finden wir – wenn wir schreiten querfeldein – innen wie aussen“ (titz)